Von Wolfgang Schäuble:
Ich bin ein entschiedener Anhänger der europäischen Idee, der europäischen Integration, unserer gemeinsamen europäischen Währung und nicht zuletzt auch einer im Sinne aller 27 Mitgliedsstaaten wohlverstanden deutsch-französischen Motorfunktion für Europa. Das mag von meiner regionalen Herkunft, unweit der französischen und Schweizer Grenze, herrühren - es entspringt aber vor allem dem Bewusstsein, dass wir dank der europäischen Integration in der längsten Friedensperiode leben dürfen, die es auf dem Boden der Staaten der Union jemals gab. Und dass uns der Euro, als das bislang weitestreichende Bekenntnis zur europäischen Integration, in vielen Finanzkrisen seit seiner Einrührung vor schweren Verwerfungen bewahrt hat. Die ohne Zweifel vorhandenen Probleme, die einige Euro- Zone-Länder mit ihren Staatshaushalten haben, treffen auf derzeit übernervöse Finanz- und Anleihemärkte, und als Politiker müssen wir auch darauf achten, dass wir uns von dieser Nervosität nicht treiben lassen. Die Bundeskanzlerin hat dies vergangene Woche im Deutschen Bundestag mit dem Primat der Politik und der Notwendigkeit zu seiner Sicherung umschrieben.
Bei der Einführung des Euro haben wir uns ganz bewusst dafür entschieden, dass wir eben nicht alle Politikbereiche vergemeinschaften. Das erklärte Ziel war mithin eine Wirtschafts- und Währungsunion und eben ganz bewusst keine politische Union, mit der Folge, dass wir zwar die Kompetenz für die Geldpolitik, nicht jedoch für die nationalen Haushalts- und Finanzpolitiken auf die europäische Ebene übertragen haben. Es ist kein Geheimnis, dass es bei Gründung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion für einen Verzicht auf nationale Finanz- und Haushaltspolitiken keine ausreichenden politischen Mehrheiten gab.
Eine logische Konsequenz aus den weiterhin nationalen Verantwortlichkeiten für die Haushalts- und Finanzpolitik ist der Europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt, dessen Ziel es war und ist, die Mitglieder der Euro-Zone anzuhalten, im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten zu bleiben und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken - mit anderen Worten: eine stabilitätsorientierte Haushalts- und Finanzpolitik im Sinne der Stabilität der gemeinsamen Währung zu betreiben. Und die Europäische Union insgesamt hat sich seit ihrer Gründung de facto zu einer neuen Form einer supranationalen "governance" entwickelt - einem, wie es das deutsche Bundesverfassungsgericht formuliert, "Gebilde sui generis". Mit der Europäischen Union ist etwas Neues entstanden, das über die klassische Vorstellung vom Nationalstaat hinausgeht und damit politisch-institutionell konsequent den Tatsachen und Herausforderungen des 21. Jahrhunderts Rechnung trägt.
Wir sind mit diesem politisch-institutionellen Rahmen - mit der Europäischen Union als "Gebilde sui generis" wie mit der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion - bisher gut vorangekommen. Alleine schon deshalb, weil nur diese intensive europäische Kooperation es uns erlaubt, in der Globalisierung zu bestehen und bei ihrer Gestaltung mitzuwirken. Als Nationalstaaten könnten wir unseren relativen Bedeutungsverlust allenfalls etwas hinauszögern, verhindern könnten wir ihn nicht. Klar ist aber auch: Mit den anhaltenden Turbulenzen in der Euro-Zone haben wir eine Phase erreicht, in der der bloße Verweis auf das Erreichte als Legitimation für den europäischen Status quo nicht mehr überzeugt. Wir haben offensichtlich eine Phase erreicht, in der wir die Frage diskutieren und beantworten müssen: Was kann und soll Europa machen, und was nicht? Wo liegen die Verantwortlichkeiten der Nationalstaaten und wo enden sie? Es sind diese Fragen, auf die die Finanzmärkte, aber auch eine zunehmend europaskeptische Öffentlichkeit Antworten von uns erwarten. Diese Situation wird dadurch nicht leichter, und eine intensive politische Diskussion dadurch umso wichtiger, dass Finanzmärkte und Öffentlichkeit gegenteilige Vorstellungen haben: Während die Finanzmärkte eine europäische Verantwortung auch bei der Haushalts- und Finanzpolitik bevorzugen, will die Öffentlichkeit genau dies nicht.
Besonders drängend stellen sich die Fragen der Abgrenzung europäischer und nationaler Verantwortlichkeiten hinsichtlich der europäischen Zusammenarbeit bei der Haushalts- und Finanzpolitik. Die in den letzten Wochen vom europäischen Rat beschlossenen Härtungen des Stabilitäts- und Wachstumspakets und die damit verbundene verschärfte wirtschafts- und finanzpolitische Überwachung sind ein starker Beleg für den vertieften Kooperationswillen, die Kooperationsfähigkeit und die Solidarität der Europäer.
Wenn es aber beispielsweise um die Frage von Euro- Anleihen geht, für die die teilnehmenden europäischen Staaten gesamtschuldnerisch haften würden, dann sind wir direkt wieder bei der Frage der Vergemeinschaftung der Haushalts- und Finanzpolitik und damit bei der Frage nach der (fehlenden) politischen Akzeptanz hierfür in den Mitgliedsländern. Darüber hinaus wären Euro-Bonds ein klarer Verstoß gegen den Geist und das zentrale Geschäftsprinzip des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Wenn wir also darauf drängen, dass jedes Mitglied der Währungsunion die für deren Stabilität notwendige nationale Verantwortung wahrnimmt, dann ist das kein Akt der europäischen Entsolidarisierung. Im Gegenteil: Es ist die Wahrnehmung unserer Verantwortung für einen dauerhaft stabilen Euro und eine dauerhaft stabile Europäische Union.
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